Interview: Raveline ’99

Taniths musikalische Entwicklung reicht weiter zurück, als manch Raverleins gesamtes Leben. Die Ursuppe, wie Tanith sich ausdrückt, war Radiohören nach der Schule. Als Tanith dann zu Zeiten von Acid House und den Techno-Anfängen aktiv und maßgeblich an der musikalischen Entwicklung der Szene beteiligt war, hatte er sozusagen schon seine Abschlüsse in Punk, EBM und Industrial in der Tasche logisch, dass sein augenblickliches Steckenpferd Breakbeat von diesen weitreichenden Erfahrungen in Sachen “populäre Musikentwicklung der letzten fünfzehn Jahre” nicht unbeeinßusst bleiben kann. Das Ergebnis in Form seiner aktuellen Single “T.A.N.I.T H.” ist nicht zu überhören.

“T.A.N.I.T.H.” ist schon in den DCC Charts, der Einstieg in die offiziellen Sales-Charts lassen zu diesem Zeitpunkt des Interviews noch auf sich warten, doch vielleicht hat sich auch da inzwischen was getan, denn der Track ist mit Video und Hittauglicheit offensichtlich auf die Verkaufs-Charts gerichtet, auch wenn das den Künstler Tanith nicht zu interessieren scheint. Das ist auch nicht nötig, denn um sowas sorgen sich seine Jungs von Timing Records und Motor Music. “Um das Tagesgeschäft kümmern sich Holgi und Armin, ich bin eigentlich nur der Artist, keine Ahnung ob die mit dem Teil in die Charts wollen. Es sind ja auch Remixe gemacht worden, die die Single unterstützen, vielleicht packen die das ja damit!” Er hat wirklich “die” gesagt . Die Erklärung folgt prompt: “lch bewundere Produzenten wie z.B. Ramon Zenker, der sich sagt “Ich verdiene jetzt mal Kohle, ich produziere jetzt was für die Charts und dann mit Bellini den großen Hit landet. Ich sitze tagelang im Studio, habe verschiedene Einzelteile gebaut und irgendwann setzen sich die Parts dann zusammen und ein Track ist fertig. Berechnen kann ich sowas leider nicht.” Bewunderung für Bellini? “Ich bewundere Leute, die irgendwas perfekt können. Das muss ich dann auch gar nicht bewerten. MUSIK ZU BEWERTEN FINDE ICH EH SO… PRÄMILLENIUM-MÄßIG! Als es noch gut und böse gab, sowas gibts ja heute eigentlich gar nicht mehr. Man stellt sich ja selbst damit ins Abseits, wenn man alles scheiße findet. Produzenten, die diese Art von Musik machen, bringen schließlich auch Tausenden, manchmal Millionen von Leuten Spaß, da kann man sich nicht hinstellen und das einfach schlecht finden! Das ist dann zwar nicht mein Spaß. aber ich muss ihn den anderen doch nicht verderben.”
Wie das Video zum neuen Track aussieht, war Tanith, dem Künstler, dann aber doch nicht einerlei “Um das Video habe ich mich selbst gekümmert. Anfangs habe ich mich mit ein paar Leuten getroffen und als ich deren Ideen hörte, musste ich mich schon fragen, ob die das Stück jemals gehört haben, so unpassend und einfallslos waren deren Vorschläge. Als ich dann die Jungs von “3000” getroffen habe, die das Video am Ende produziert haben, wusste ich schon beim ersten Satz: “Die sind’s!” die haben das Stück genauso “kapiert” wie ich. Die Idee das Video in Sequenzen anzulegen, war genau das, was ich auch beim Produzieren im Kopf hatte.”
Das neue Album kommt im Oktober. Laut Tanith erwartet uns damit “ein Kessel Buntes”, was vor allem bedeutet, dass Taniths gesamte musikalische Vorgeschichte Einßuss nimmt: “In jedem Stück gibt es Facetten meiner Roots zu entdechen. Sei es Punk Breakbeats, Industrial oder Techno. Alles hatte irgendwie Einßuss, wenn auch nicht in mundgerechten Häppchen, sondern miteinander verwoben und manchmal fast unkenntlich gemacht. ich habe die Tacks auch untereinander verbunden also praktisch einen DJ-Mix abgeliefert, weil ich glaube, dass das bei dieser Musik mehr Sinn macht und der Hörer sich auch darüber freut.
Ist jetzt die Zeit gekommen die Früchte zu ernten, die Tanith in den letzen Jahren BigBeat-technisch gesät hat? “Also in Berlin ist BigBeat mittlerweile gleichberechtigt mit Drum&Bass, Techno, House und sowas. Jede Woche gibt es irgendwo eine Veranstaltung. Aber deutschlandweit gesehen gibt es noch emiges zu beackern! In Berlin kann man sich nicht beklagen. Nürnberg ist z.B. auch O.K! Aber mich hat mal einer ins Ruhrgebiet gebucht und der hat nur draufgelegt! Musik hat ja auch immer was mit einem bestimmten Lebensgefühl zu tun. Vielleicht kann man BigBeat nicht einfach in andere Regionen pßanzen. Wenn der Soundtrack nicht zur Realität passt läuft das eben nicht” Trotz Norman Cook und Konsorten sieht sich Tanith also zumindest national immer noch als Pionier, auch die momentane Entwicklung hin zum musikalischen Mischkonsum betrachtet er noch skeptisch: “In manchen Gegenden ist es einfach so, dass die Sozialisation uber Techno oder House funktioniert. Da gibt es nur diese beiden Antipoden und mehr Interesse ist auch gar nicht da, obwohl jede neue Art von Musik eigentlich eine Bereicherung ist. Ich persönlich mische viele Styles, wie Techno mit BigBeat, und die Leute merken das meistens noch nicht einmal.”
Nach wie vor ist der brodelnde Underground das was in Taniths Augen das Volk am Toben hält: “Wenn man in Düsseldorf mal eben eine reine BigBeat-Veranstaltung machen wollte, würde das nicht funktionieren, weil dort der Background fehlt. Warum weiß ich auch nicht, das ist halt so!” Von Düsseldorf bis Köln haben sich inzwischen alle auf dieses eine Ding eingeschossen. Es gibt die Spex, die De-Bug und auch die Frankturter Groove, die alle in eine Richtung gehen. Bei denen gibt es immer noch dieses “Gut/Böse”-Ding. Die Groove würde niemals das Wort BigBeat benutzen dort steht dann einfach “…englische Quatschmusik”. Ich kann da nur sagen. “Jungs, macht euch doch mal locker! Es ist eine Bereicherung von Musik, die wiederum andere Genres befruchten kann. Ich habe noch nie verstanden warum man einige Genres dissen muss. Ich persönlich kann auch wenig mit Jazz oder House anfangen, aber ich käme nie auf die Idee das pauschal abzulehnen. Auch da gibts für mich immer wieder Sachem bei denen ich denke “Wow, da hat einer den Dreh gefunden. mit dem er auch mich ansprechen kann!” Alles abzulehnen ist einfach mal wieder typisch deutsch! Wo die sich eigentlich abgrenzen wollen nämIich ‘typisch deutsch’ zu sein, muss ich leider sagen: Ertappt!”
ZumThema Köln hat Tanith eine ganz spezielle Meinung: “KÖLN IST EIN GANZ EIGENES DING! EINE GANZ EIGENE WELT! DAS IST SO EIN KLEINES KAFF, wo sich wahrscheinlich auch jeder kennt und die haben dann ihre eigene Mentalität!” Uiuiui, da werden die Kölner sich bestimmt freuen. Belustigt erzählt Tanith weiter, wie er die Entwicklung der Kölner Szene empfunden hat: “In der Spex ist das auch immer richtig toll zu beobachten, wie sich soone kleene Szene selber hyped und zeigen will ‘wir sind jetzt auch wer, wir sind kosmopolitisch, heute Köln, morgen New York. Und hier haben wir unser kleines Eckchen, wo wir uns alle treffen und uns austauschen!’ Mein Gott! Das zeigt doch schon dass es ein kleines Kaff ist, oder? Ich kenne hier einige Leute schon seit Jahren, z.B. Cosmic Baby oder so, und dem laufe ich dann über Monate und Jahre nicht über den Weg. Das ist kosmopolitisch, das ist eine grosse Stadt!” Kritisiert wird aber nicht die Größe, sondern eben dieses typisch deutsche Verhalten, sich abgrenzen zu wollen, ob es hilft, oder nicht “In Köln war das ja schön immer besonders schlimn. Da hat das ja regelrecht Tradition. Ich weiß noch, früher, als ich öfter im Warehouse aufgelegt habe, da haben die Veranstalter sich gegenseitig die Plakate überklebt, nach dem Motto ‘Fällt aus wegen Krankheit!’ und sowas. Das scheint eine typisch köllsche Krankheit zu sein.” Da stellt sich natürlich die Frage, wie es denn in 8erlin mit der Club- und Veranstalterszene bestellt Ist: “In Berlin gibt es diese Abgrenzung glücklicherweise nicht. So ein Laden wie das WMF, der eigentlich für House steht, bucht auch DJs wie Phonique oder DJ Punk Roc. Hier spielt das alles zusammen und man hat keine Berührungsängste untereinander. Mir macht das viel mehr Spaß, als dieses Wir-Techno-ihr-Bigbeat-Ding. Wir gut – ihr böse! So ein olles 80er Verhalten… Das ist ein ganzer Markt, aus dem man sich bedienen kann und dann darf man aber nur das Eine gut finden…”
Nach diesem kleinen Panoramaausflug über Deutschland sind wir wieder in Berlin gelandet, um zu erfahren, was da demnächst Tanith-mäßig abgehen wird: “Für die Tour lege ich nach Jahren mal wieder im Tresor auf. Also läuft oben BigBeat und unten featuren wir unser Label ‘Bash’ mit Techno. Hauptsächlich werden wir da ein paar alte Ravehits wieder neu außegen, z.B. einen von N.R.G., oder ‘Elevation’, den 92er Love-Parade-Hit von GTO.”
Während wir so plaudern, fällt unser Blick im Timing-Büro wo man auch hinschaut ständig auf das Totenschädel-lcon des Marvel-Comic-Helden „The Punisher”. Natürich wird auch das Cover der neuen Single von einem Punisher geziert, an der Wand hängt ein uraltes Riesenplakat und auch der einzig anwesende Timing-Mitarbeiter trägt als Arbeitsuniform ein minimal abgewandeltes Punisher-Shirt. Das alles schreit nach Aufklärung. Also, Tanith, was soll das? ìDer Punisher ist sowas wie mein Maskottchen. Seit Ende der Achtziger ist der mein Zeichen. Ich fand das Comic früher geil. Die fetten Knarren, bestrafung und so. Das hat ja auch eine Zeit lang ganz gut zur Musik gepasst. Und jetzt ist es sozusagen ein Synonym fur meine Lebenseinstellung. Der ständig ein wenig abgewandelte Punisher steht für Hardcore. Früher eben Hardcore-Lifestyle, also am Wochenende Drogen schmeissen, Außegen und unter der Woche wieder regenerieren, damit man am Wochenende wieder durchziehen kann. Das haben wir dann immer weiter entwickelt. Da gab es mal einen mit Weihnachtsmann-Mütze, die 99er Version ist jetzt die mit den Hörnern und dem Heiligenschein. MeineTätowierung ist von 1993, die wurde mir zum Geburtstag spendiert.”
Hardcore-Lifestyle forever, oder wie? Was wäre aus Tanith ohne Musik geworden? “Wahrscheinlich hätte ich dann irgendwas mit Computern gemacht, denn das ist meine zweite grosse Leidenschaft. Diese Informationsrevolution ist schon sehr faszinierend. Ich habe damals nie erwartet dass man mit Außegen wirklich Geld vendienen kann. Ich bin da eintach so reingerutscht, bin durch die Schule des Lebens gegangen, anstatt über eine Ausbildung nachzudenken. Drei Monate habe ich eine Lehre gemacht, um festzustellen, dass ich nicht unter einem Chef arbeiten kann. Ausserdem habe ich mal für fünf Mark in einer Druckerei gearbeitet. Da hatte ich einen total cholerischen Chef, der ständig einen seiner Angestellten total fertig gemacht hat. Es verging kein Tag, an dem man sein Geschrei nicht gehört hatte. Eines Tages hat er wieder wie am Spieß rumgebrüllt und wie immer haben wir alle nicht hingeguckt, damit wir nicht die nächsten sind. Keiner hat sich um ihn gekümmert, aber leider hat der keinen zur Sau gemacht, sondern ist mit den Armen in die Falzmaschine gekommen und keiner hats gemerkt und ihm geholfen. Vielleicht ist das ausgleichende Gerechtigheit! Als Kind bin ich in der fünften Klasse schon ausgelacht worden, weil ich gesagt habe: “Hoffentlich ist die Schule bald vorbei, denn DANN WERDE ICH HIPPIE UND LIEGE DEN GANZEN TAG AUF DER WIESE RUM!”
Was erwartet ein Mann vom Leben. der schon mit elf am liebsten Hippie geworden wäre? “Auch heute mache ich mir keinen grossen Kopf, denn ich finde, dass zuviel Denken behindert. Da man diese typischen Verkrampfungen, wie immer, wenn man einen Muskel zuviel benutzt.” Auch wenn sich Tanith laut eigener Aussage Mühe gibt, den Ball himmäßig ßach zu halten, weiß er doch den reduzierten Einsatz gezielt anzuwenden. Seine weiteren Ausführungen jedenfalls machen durchaus Sinn ìDinge die man sich ausdenkt, werden sowieso ganz anders als erwartet. Ich möchte auch gar nicht so ein grosses Lebensziel haben, denn in Zeiten wie diesen kann man eigentlich nur enttäuscht werden. Man weiß ja nicht mal, wie wir aus diesem Jahrzehnt rauskommen. Gerade als DJ oder Musiker krempelt sich ständig alles um, da kann man nie vorher sagen, was als nächstes kommt! Eigentlich hoffe ich, dass es so weitergeht wie bisher und einfach meinen Interessen folgen hann.”
Der gebürtige Wiesbadener hat sich einst zur Selbstverwirklichung Berlin als Homebase gewählt. Ob das auch in Zukunft so bleiben soll, möchten wir wissen. Zu dieser Frage hat der sorglose Tanith aber doch schon seinen Hirnmuskel strapaziert: “Berlin ist schon eine geile Stadt für den Sommer, aber der Winter ist hier grausam, finde ich. Ich will irgendwann mal hier raus, mein Studio da haben, wo es wärmer ist. Portugal, Spanien, aber schon noch in Europa! Ich werde in den nächsten Jahren jeden Sommer einen Monat in südlichen Ländern Rad fahren und mir alles angucken.”
Außegen oder Produzieren? Taniths Karriere hat sich durchs Auflegen manifestiert, daraus sind die ersten Produktionen und das Plattenlabel entstanden. “Beides ergänzt sich gegenseitig. Für mich geht das Eine nicht ohne das Andere. Beim Auflegen bleibe ich in einem ständigen Flow, erkenne, was momentan angesagt ist, worauf die Leute stehen! Beim Produzieren kann ich diesen Bereich mit meiner eigenen Ausprägung verbinden.
Nachdem die neue Single in Clubs und Musiksendern rauf und runter läuft, könnte man durchaus erwarten, dass demnächst Tanith auch live auftritt, doch so einfach macht sich der Berliner Punisher die Angelegenheit nicht: “Ich habe schon darüber nachgedacht einen Live-Act auf die Beine zu stellen, doch da ist noch nichts spruchreif. Das Ding müsste auf jeden Fall einschlagen wie eine Bombe und das neue Millenium einleuten! Durch meine Erfahrungen in Bands, in denen ich früher gespielt habe, weiß ich, dass es total schwierig ist, mehrere Leute unter einen Hut zu kriegen. Aber ich habe schon ein paar geile Ideen, die ich natürlich hier nicht verrate. Mich einfach nur mit ein paar Keyboards auf die Bühne zu stellen. ist meiner jedenfalls nicht würdig!” erzählt Tanith mit spitzbübischen Lächeln.
Aber nicht nur Musik ist wichtig in Taniths Leben, vor allem, erzählt er, sind Freunde wichtig “Richtige Freunde, die einen auf dem Boden halten und einen nicht den Bezug zur Realitat verlieren lassen. Gerade in diesem Business passiert es schnell, das man sich für den Allergrößten hält, da man ständig mit Leute trifft die einem das einreden. Da ist das Wichtigste, wahre Freunde zu haben, die einen immer wieder runterbringen und gleichzeitig das Leben, das man führt akzeptieren. Außerdem lese ich sehr gerne! Mein Interesse reicht von Betriebsanleitungen und Sachbüchern bis hin zu Sciencefiction-Romanen. Außerdem kaufe ich mir jede Menge Magazine und Zeitschriften, wobei mich allerdings diese ganzen Rave-Postillen nur am Rand interessieren. Am ehesten kann ich da noch was mit eurem Magazin anfangen; das erinnert mich an englische Magazine, die ohne Vorurteile über die gesamte Bewegung der elektronischen Musikszene berichten.”
Natürlich hat ein Mann, der so klare Vorstellungen über Musik und deren Entwicklung hat auch einiges an Lebensweisheiten zu bieten, die sich so über die Jahre angesammelt haben. Tanith hat sogar einen kleinen Pager dabei, in dem passende Sprüche gesammelt werden um sie nicht in Vergessenheit geraten zulassen. Für uns hat er einige hervorgezaubert: “Im Grunde bin ich passionierter Kiffer, dementsprechend finde ich, dass 90% von dem was im Leben passiert, egal ist. Probleme lösen sich sowieso, wenn man sie ignoriert. He never lost his hardcore, ist einer meiner wichtigsten Leitsprüche, was bedeutet, dass man seine Roots nicht verlieren und zu den Dingen, die man im Leben gemacht hat, stehen soll. Wer nur das macht, was andere tun, kriegt auch nur das, was andere kriegen”

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