Jahresrückblick 2022

Auch wenn man dachte 2020 und 2021 waren schon stranger things, dann hatte es 2022 dennoch drauf noch einen drauf zu setzen, von der Pandemie direkt in den Krieg. Eine Sache die ich tatsächlich nicht mehr für möglich gehalten hätte und die ewigen Debatten darum waren nicht viel erquickender. Für mich bleibt es dabei, einen Krieg in Europa in diesem Jahrhundert ist ein no go und der ganze Rest ist für mich maximal sekundär, so etwas macht man nicht und wer anfängt hat Schuld, basta. Kann jeder anders sehen und diskutieren, ich beteilige mich nicht daran.
Kurz darauf ging es dann auch mit den Gigs wieder los, aber was war das am Anfang für eine Hängepartie, darf man, darf man nicht, ab wann, wieviele und vor allem wie? Ende März war es dann soweit, mein erster richtiger Gig nach der langen Durststrecke fand dann auch gleich im E-Werk statt. Das Event wurde zwar im Nachhinein schlecht geredet, aber ich und viele andere hatten da durchaus Spaß, auch wenn nicht alles in der Logistik klappte. Für mich war‘s halt auch toll mit viele jungen Talenten zu spielen, die ich sehr achte und deren Weiterentwicklung von Techno mir sehr gut gefällt und es mich daher auch bisschen stolz macht noch von denen akzeptiert zu werden, ich meine einige von denen könnten meine Enkel sein.

Danach ging es auch Schlag auf Schlag und ich war fast jede Woche irgendwo gebucht, manchmal sogar 2 Tage hintereinander, wie früher und als wäre gar nix gewesen. Ich hatte einen super Sommer mit Festivals von Fusion bis zu endlich wieder in alter Größe stattfindenden wie Hexenwerk und Simsalaboom, feierte meinen 60sten Im Suicide, spielte zum 31. Geburtstag des Tresors, hatte ein Traumset vorbei am Tresor auf dem Zug der Liebe, war in zig Städten und oft in meinen Stammläden hier in Berlin gebucht. Nach der Fusion dann tatsächlich auch mal kurz Besuch von Corona gehabt, das aber innerhalb von 3 Tagen so gelangweilt von mir war, das es wieder ging, so das ich die Woche darauf doch beim Tresorpanel teilnehmen konnte.
Abgesehen davon hatte ich auch genug Zeit mit meiner Familie einen Sommer der Superlative auf unserem Haus am See zu verbringen und eine riesige Terrasse anzubauen. Von daher kann ich eigentlich diesbezüglich gar nicht klagen, trotzdem hat sich viel verändert. Mit der neuen Generation habe ich überhaupt kein Problem, ich finde das was da gerade nachwächst ist so ziemlich das beste seit den Mittneuzigern, aber was ist z.B. aus den ganzen Bekundungen zu Anfang der Pandemie geworden? Man wollte danach ja einiges besser machen, sei es im Miteinander, im Sinne des Klimas, nachhaltiger und alles anders und besser machen als in der einmütig als heißgelaufenen Zeit davor machen. M.E. ist genau das Gegenteil eingetreten, zwar verständlich nach 2 Jahren Durststrecke, aber auch irgendwie ernüchternd. Ich sehe DJ Monats Giglisten mit über 30 Gigs verteilt über sämtliche Kontinente für Festivals mit denselben immergleichen Lineups. Ich wiederhole mich jetzt vom letzten Jahr: Ich kann mir die ganzen Instagram Posts mit vollen Hallen und Sprüchen drunter wie „I‘m speechless“, „This one was for the books“,“City XY, you stole my heart“ echt nicht mehr antun, das ist alles so öde gleichbleibend langweilig im Gegensatz zu der Musik, die eigentlich die erste Geige spielen sollte. Liebe Kollegen das geht doch besser, ihr könnt doch in mehr originell sein, als in Musik, das was ich da sehe ist nur lames Gepose! Dazu noch dieser ganze Agenturshizzle, wo ganze PR Teams samt Fotografen für das Social Media Gedöhns mitfliegen. Das gab‘s zwar bei einigen früher auch schon, wurde aber eher augenrollend akzeptiert, das scheint aber gerade Standard zu werden. Also gesund scheint mir das alles nicht. Ist mir schon klar, das Techno zu einer globalen Sache wurde und anders lässt sich davon auch gar nicht mehr leben, aber das alles treibt gerade Blüten, die ich eher sehr kritisch sehe, bzw. ich sage es gerne auch immer wieder: Das wird uns irgendwann auf die Füße fallen. Die ganze Branche muß eigentlich viel klimabewußter werden, anstatt noch weiter heiß zu laufen, schlimmer als vor der Seuche. Aber auch so Sachen wie Mental Health werden bei dem Pensum sicherlich in Zukunft noch mehr Thema werden, einige Beispiele gab es dieses Jahr ja schon. Dazu kommt noch eine wahre Flut neuer DJs, bei denen ich oft nicht nachvollziehen kann, wieso die so aus dem Nichts plötzlich in Agenturen landen und sofort um die Welt jetten, bei so einigen können’s weder die Releases, die sind mittelmäßig, noch die Skills sein, die sind es nämlich auch. Natürlich nicht alle, aber bei so manchem denke ich schon das die Halbwertszeit sehr kurz werden wird. Dazu kommt noch die Flut von weiblichen DJs, die ich ja eigentlich sehr begrüße und da wirklich mit des beste dabei ist, was an Nachwuchs kommt, aber bei manchen cringed es dann doch sehr und man fragt sich wie weit das noch vom Wet T-Shirt Contest der Normalodissen entfernt ist. Dabei ist es nichtmal deren eigene Sexualisierung, sondern oft die der Fans, die das so eklig macht, oder versuche mal Kritik an einer. Was einem da an männlichem Beschützerinstinkt mit Fickwunschverdacht entgegenschlägt, kann einem bei männlichen Kollegen so zumindest nicht passieren. Überhaupt fällt mir eine BWLisierung der ganzen Branche auf, mitsamt dem ganzen Zynismus der damit einher geht. Dabei ist booken nach Followerzahlen noch das älteste Übel, aber wenn Clubs dir plötzlich völlig unpersönliche Technical Rider Anfragen stellen, wo du seit Jahren regelmäßig auflegst, wenn im Büro bei der Abrechnung eigentlich immer Anspannung herrscht und über Abende und Kollegen nur noch sarkastisch geredet wird. Klar, das gab‘s alles auch schon vorher, aber entweder die lange Pause hat mich da empfindlicher für gemacht, oder es ist tatsächlich alles etwas ermüdet, wirkliche Begeisterung abseits des monitären meine ich dieses Jahr viel weniger wahrgenommen zu haben. Mag vielleicht auch an der prekären Situation vieler Läden liegen, nach 2 Jahren Pandemie und ständig größer werdender Konkurrenz durch Festivals, dazu kommt noch die allgemeine Lage mit immer höheren Kosten und dem Balanceakt, trotzdem noch menschliche Preise für die Nacht aufrufen zu können.
�Musikalisch denke ich, das wir Das Ende der Fahnenstange des immer härter und schneller Werdens erreicht haben, die Ausfallquote und Ideenlosigkeit ist da beträchtlich gestiegen, was immer ein Anzeichen dafür ist, das etwas den Zenith erricht hat. In was das jetzt münden wird scheint mir noch nicht ausgemacht. Manche Medien meinen ein Trance oder Eurodance Revival ausmachen zu müssen, aber das scheint mir eher bei den Haaren herbeigeschrieben, oder zumindest eine Facette viel zu stark beleuchtet. Mein Gefühl sagt mir das es eher in Richtung klassischer Techno geht, zwar immer noch schnell aber reduzierter, Wetten möchte ich darauf allerdings keine abschließen.

Auf anderen Gebieten lief es erfreulicher, meine Nerdseite wurde dieses Jahr sehr von der AI beglückt, sei es Chat GPT, Lensa, Dall-E ,Midjourney. Oder Diffusion Radio, das 24/7 live AI generierte Musik streamed, die oft wirklich erstaunlich gut kommt. Fast täglich kommt da etwas neues hinzu,erst heute habe ich Riffusion entdeckt, das aus Beschreibungen Musik samt Spektrogrammen erzeugt und wir stehen dabei gerade erst am Anfang. Ich weiß das wird die nächsten Jahre noch zu einigen sehr heißen Kontroversen führen, wogegen sowas wie Analog vs. Digital wie Kindergeburtstag wirken wird, aber ich denke da müssen wir jetzt durch.
Eine weitere Beobachtung, die mich nicht wenig mit Hoffnung erfüllt ist der langsame Tod von Oligarchen geführten sozialen Plattformen wie Twitter und Facebook und der langsame Aufstieg von dezentralisierten Alternativen wie dem Fediverse, mit seiner bekanntesten Ausformung Mastodon, aber auch für Facebook, Blogging, Youtube, Soundcloud, Instagram und anderen bilden sich dort Community gesteuerte und administrierte nicht Algorithmus geführte oder durch Webung verhunzte Social Media Angebote die viel freundlicher daher kommen als das was aus den alten Social Media Plattformen geworden ist. Ich führe da viel tatsächlich auf diese Algorithmen zurück, die immer das nach oben spülen, was den größten Aufreger zum interagieren verspricht und das hat sowohl Twitter als auch Facebook zu einer oft toxischen Hölle des Gegeifers gemacht. Wie anders das gehen kann sieht man erst wenn man mal eine Plattform nutzt in der das nicht passiert. Natürlich versammelt sich da erstmal das Nerdtum, die Minderheiten und andere Gruppen, die mit diesem lauten Getöse der alten Plattformen nicht mehr mitmachen wollen und man konnte die Wachstumsschmerzen schon spüren, als plötzlich gefühlt halb Twitter zu Mastodon abwanderte, nachdem Musk die Bude gekauft hatte. Ich möchte auch nicht darauf wetten das die großen kommerziellen Plattformen davon unter gehen, aber wer es freundlicher und vor allem ohne ritualisierte Shitstorms und Mobbings haben möchte ist momentan bei dezentralen Lösungen definitiv besser aufgehoben und durch die Administration der Instanzen sehe ich da auch zukünftig bessere Chancen das das so bleibt, als bei diesen Sauriern, die zunehmend wirken, wie aus einer anderen Zeit. Bei mir bewirkt das sogar, das ich seit langer Zeit mal wieder Lust auf Bloggen kriege, nicht so wie im alten Blog, sondern eher so wie hier in diesem Beitrag und bin schon auf der Suche wie ich das diesmal angehe.
All that being said klingt das ja fast so als wäre ich nur mit solchen Themen beschäftigt, das ist aber höchstens die Hälfte der Wahrheit, denn eigentlich ist die Familie das wichtigste und da stecke ich auch die meiste Zeit rein. Was auch gar nicht anders geht mit 3 Kids (2 menschliche und ein ewiger Welpe) und im Grunde zwei Haushalte, in denen immer was zu machen ist. Ich bin da auch heilfroh drum, mal ganz abgesehen davon, das man so gar nicht die Zeit zum Altern hat, relativiert das die ganzen täglichen allgemeinen Aufreger und man konzentriert sich eher auf das essentielle. Dabei gilt mein besonderer Respekt meiner Frau Jeannette, die das alles noch viel besser wuppt als ich!
In diesem Sinne euch allen einen guten Rutsch, ein friedliches und gesundes neues Jahr. Man liest sich hoffentlich im nächsten Jahr wieder oder feiern vielleicht auch auf dem ein oder anderen Tänzchen, wo ich aufspiele.
See you in 2023!

4 thoughts on “Jahresrückblick 2022”

  1. Endlich neuer Content! Freut mich, lese hier sehr gern. Das neue Design der Seite sieht gut aus. Teile deine rückblickenden Ansichten und Einschätzung des letzten Jahres. Zumindest die, bei denen ich selbst Erfahrungen sammeln konnte. Techno, Mastodon und bissl AI.

  2. Glückwunsch zum Relaunch des Blogs. Ich hatte schon die Befürchtung, dass du ihn ganz vom Netz genommen hast, nachdem gar nichts mehr auf der Seite erschien. Ich lese gern die älteren Beiträge von dir. Gerade die Jahresrückblicke finde ich immer spannend. Vor allem wenn man bspw. Deine Prognosen was Musik und Tech betrifft nun dem Realitätscheck unterziehen kann. Du könntest auch mal wieder ein Thema der Woche o. ä. hier aufm Blog reaktivieren 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.